08.02.2023

Lesetipp mobil

Lieber zum Spezialisten!

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Wer eine entzündlich-rheumatische Grunderkrankung hat, sollte bei einer geplanten Operation die Klinik besonders sorgfältig auswählen: Es gibt einige Besonderheiten zu beachten.

Eine Operation steht an, zum Beispiel eine Totalendoprothese. Viele Patientinnen und Patienten googlen als Erstes, um sich ein Bild zu machen. Doch für Betroffene mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen kann das ein Problem werden: Gängige Klinikportale in Deutschland differenzieren bei der Suche nach geeigneten Operateuren an den unterschiedlichen Gelenken nur die speziellen Eingriffstechniken (z. B. „Hüft-Endoprothese“) und leider nicht die zugrunde liegenden Erkrankungen. Dies kann bei entzündlich-rheumatischen Systemerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis, der Psoriasis-Arthritis, der Spondyloarthritis („Morbus Bechterew“) und den seltenen Kollagenosen oder Vaskulitiden unter Umständen zu einer ganz falschen Sicherheit führen.

Spezielle Medikamente

Bei der sehr viel häufiger vorkommenden Arthrose haben manche hoch spezialisierte Kliniken aufgrund großer Fallzahlen eine erhebliche Erfahrung. Vielfach fehlt dabei jedoch das Wissen um die Besonderheiten der speziellen Medikamente und Operationsrisiken bei den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Die mögliche Folge sind unter Umständen Gesundheitsschäden. Durch die immunmodulierenden Medikamente ist es heutzutage in vielen Fällen möglich, die Aktivität der Entzündung deutlich zu dämpfen und den Betroffenen dadurch ein annährend normales Leben zu ermöglichen. Der anfänglichen Euphorie nach der Einführung der wirkungsvollen Immunsuppressiva, insbesondere der Biologika um das Jahr 2000, folgte später die Erkenntnis, dass eine ganz grundsätzliche „Heilung“ dieser Erkrankungen heute leider noch nicht möglich ist.
Erfreulicherweise gelingt es aber, die Aktivität der Entzündung durch die besonderen Medikamente bei den meisten Patientinnen und Patienten sehr deutlich zu reduzieren und damit eine weitgehende Teilhabe an den Aktivitäten des täglichen Lebens zu gewähren. Das führt dazu, dass Gelenkzerstörungen zwar über lange Zeit schmerzfrei und unglücklicherweise oft genug weitgehend unbemerkt verlaufen. Dennoch werden meist früher als bei der Arthrose künstliche Gelenke oder Versteifungsoperationen erforderlich.

Vorsicht, Halswirbelsäule!

Betroffene mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen haben jedoch ganz besondere Risiken für Operationen. Dazu gehört beispielsweise die Instabilität der Gelenkverbindung zwischen der oberen Halswirbelsäule und dem Kopf: Durch die Zerstörung von Bändern und Knochen kann dort eine gefährliche Instabilität entstehen. Wenn sie nicht erkannt wird, kann sie bei einer Narkose zu einer massiven Quetschung des Rückenmarks auf Höhe des Atemzentrums führen, was im ungünstigsten Falle sogar tödlich enden kann. Um dieses Risiko zu erkennen, müssen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte für diese schweren Erkrankungen geschult sein. Denn auch Medizinerinnen und Mediziner erkennen Besonderheiten spezieller Krankheiten nur, wenn ihnen diese ganz grundsätzlich bekannt sind. Wer schon lange an einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung leidet und insbesondere Bewegungseinschränkungen und Schmerzen in der Halswirbelsäule hat, sollte dies vor einem geplanten Eingriff daher abklären lassen: Dazu erfolgen Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule in Vor- und Rückneigung des Kopfes zur Prüfung der Stabilität in dieser anatomischen Region. So lässt sich das Risiko von Rückenmarkschäden bei der Narkose vermeiden.

Lunge im Blick

Ein weiteres Risiko stellt eine Aktivierung von rheumatischen Entzündungen durch den Reiz der Operation dar. Jeden chirurgischen Eingriff empfindet der menschliche Körper als einen „Angriff“ und aktiviert die Immunabwehr. Dies führt ebenfalls zu einer Erhöhung der entzündlich-rheumatischen Aktivität. Unter Umständen macht sich das nach dem Eingriff durch Wasseransammlungen in der Lunge und im Herzbeutel bemerkbar. Zu den Symptomen gehören Luftnot und Kreislaufkollaps. Internistische und orthopädische Rheumatologinnen und Rheumatologen sprechen von einem „serositischen Rheumaschub“. Dieser kann einer Lungenentzündung (Pneumonie) ähneln, die im Allgemeinen nach einer OP deutlich häufiger ist. Für ungeschulte Behandlerinnen und Behandler besteht daher die Gefahr, anstatt des notwendigen Kortisons lediglich ein Antibiotikum zu verabreichen. Auch diese Fehlentscheidung kann zum Tode führen.

Brüchige Knochen

Diese äußerst bedrohlichen Situationen sind orthopädischen Rheumatologinnen und Rheumatologen absolut geläufig, oft aber nicht den Orthopäden und Unfallchirurginnen, die meist „nur“ Arthrose-Patientinnen und -Patienten behandeln. Dazu gibt es weitere Risikofaktoren, welche bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen dringend beachtet werden müssen. So besteht durch die chronische Entzündung, den Bewegungsmangel und die Kortisontherapie häufig eine schwere Osteoporose. Diese erhöht die Gefahr von Knochenbrüchen bei einer Operation deutlich. Das bedeutet, dass der Chirurg bei den vergleichsweise weichen Knochen von Rheuma-Betroffenen mit viel mehr Vorsicht operieren müssen, als bei in der Regel harten gelenknahen Knochen von Betroffenen mit Arthrose.

Ganzheitlicher Blick

Darüber hinaus sollte bei einer Endoprothesen-Operation bei Patientinnen und Patienten mit Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises immer die Entfernung der Gelenkinnenhaut mit erfolgen. Ansonsten besteht die Gefahr einer vorzeitigen Lockerung der Prothese (Abb. 1). Da dieses Vorgehen bei Arthrose nicht erforderlich ist, wird es von nicht-rheumatologisch geschulten Operateuren bei Rheumapatientinnen und Patienten häufig unterlassen. Ein definitiver Vorteil der orthopädischen Rheumatologin/des orthopädischen Rheumatologen gegenüber dem lediglich auf einzelne Gelenke spezialisierten Orthopäden und Unfallchirurgen ist, dass er den ganzen Körper / Menschen betrachtet, weil die rheumatische Erkrankung nicht nur an einem einzigen Gelenk auftritt und sich die Veränderungen an den verschiedenen Regionen gegenseitig beeinflussen (Abb. 2). Die Therapie mehrerer erkrankter Gelenke sollte in einer festgelegten Reihenfolge durchgeführt werden, da jede Stellungskorrektur an einem Gelenk die Stellung in anderen Gelenken beeinflusst. 
So ist es beispielsweise bei der Versteifung des Handgelenkes so, dass diese bei einer Arthrose in einer leichten Überstreckung erfolgt, während sie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen in gerader Stellung erfolgen sollte, damit alle Funktionen der Hand nach der Operation noch möglich sind. Aus diesem Grunde ist es in der täglichen Praxis des orthopädischen Rheumatologen leider immer wieder erforderlich, Fehlstellungen durch anderenorts vorgenommene Operationen korrigieren zu müssen. Solche unnötigen Korrektureingriffe sollten bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, welche ohnehin in ihrem Leben mehr Operationen über sich ergehen lassen müssen, als Arthrose-Patienten, unbedingt vermieden werden.

Tipps für den Weg zum Chirurgen

Steht eine Operation an? So finden Sie mit einer entzündlichen Rheumaerkrankung einen geeigneten Operateur und sichern sich eine bestmögliche Behandlung.

1 Achten Sie bei der Wahl des Operateurs/der Chirurgin sehr darauf, dass dieser die Zusatzbezeichnung „Orthopädische Rheumatologie“ führt. So besteht die Gewissheit, dass dieser sowohl die konservativen als auch die operativen Behandlungsmethoden entzündlich-rheumatischer Erkrankungen sicher beherrscht und vor allem auch die Medikamente und deren Nebenwirkungen kennt, um diese um die Operation herum zum rechten Zeitpunkt zu pausieren. Wer sich bezüglich der Medikamenteneinnahme um eine Operation herum unsicher ist, kann die neuen Richtlinien hierzu auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (www.dgrh.de) einsehen. Diese Richtlinien sind erst seit Dezember 2021 verfügbar, so dass sie möglicherweise noch nicht allen Chirurginnen und Operateuren geläufig sind.

2 Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh) zertifiziert seit zehn Jahren Kliniken, welche auf die operative Behandlung von Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen hochspezialisiert sind. Der Zertifizierungsprozess ist angelehnt an die EndoCert-Klassifizierung der Kliniken für Endoprothetik, wobei die DGORh für ihre Prozesse deren Katalog aber wesentlich erweitert hat. So kann eine Zulassung zu einem Spezialzentrum für operative Rheumatologie nur dann erlangt werden, wenn eine enge Zusammenarbeit mit einem internistischen Rheumatologen und anderen wichtigen Fachdisziplinen besteht. Diese Fachabteilungen müssen im Hause vorhanden oder zumindest konsiliarisch kurzfristig verfügbar sein, um den Patienten/die Patientin während der stationären Behandlung mitzubeurteilen und bei Bedarf zu behandeln. Dies gewährleistet eine hohe Sicherheit in der medizinischen Betreuung bei entsprechend hoher operativer Qualität unter Beachtung seiner besonderen Grunderkrankung. Zudem setzt die Zertifizierung zum „Spezialzentrum für Operative Rheumatologie“ eine Mindestanzahl an jährlichen Operationen an Patientinnen und Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen voraus. Dies gewährleistet eine große Erfahrung der Operateure und hilft dabei, die Qualität zu sichern.

3 Um die ambulante Versorgung von Patientinnen und Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zu verbessern, wurde vom Gesetzgeber die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) Rheuma ins Leben gerufen. Sprechen Sie Ihren behandelnden internistischen Rheumatologen gezielt darauf an, ob ein Einschluss in die ASV für Sie in Frage kommt. Ein unmittelbarer Vorteil liegt darin, dass die Wartezeiten bei den zugelassenen Spezialisten, sowohl im operativen Bereich als auch bei der Diagnostik (z. B. Radiologie, Neurologie, Dermatologie, usw.), deutlich reduziert sind, um eine schnelle Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen zu gewährleisten, bevor es zu dauerhaften Schäden kommt.

4 Spezialzentren für Operative Rheumatologie sind im Vergleich zu den Endoprothesen-Zentren sehr selten. Deshalb empfehlen wir Ihnen, Ihre  internistische Rheumatologin/ihren Rheumatologen darum zu bitten, in dringlichen Fällen die Terminvereinbarung zu unterstützen. So kann eine Therapie schneller starten und etwaige Folgeschäden verhindert werden. Insbesondere gilt dies für über Wochen geschwollene Gelenke und Sehnenscheiden, welche auf die medikamentöse und konservative Therapie nicht ausreichend ansprechen („rebellisches Gelenk“). Hier ist unter Umständen die operative Therapie die einzige Möglichkeit, um die Zerstörung von Sehnen und Gelenken mit Funktionsverlust zu vermeiden. Patienten mit Arthrose hingegen sind selbstverständlich in den gängigen Endoprothesen-Zentren bestens aufgehoben. 

Text: Prof. Stefan Rehart & Prof. Ralph Gaulke

Prof. Ralph Gaulke ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie und leitet die Sektion Obere Extremität, Fuß- und Rheumachirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover.
Prof. Stefan Rehart ist Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie in Frankfurt am Main.

Quelle: Dieser Artikel erschien in mobil, dem Mitgliedermagazin der Deutschen Rheuma-Liga.
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